Be­greift ihr, was ich an euch ge­tan ha­be? (Joh 13,12)

Pre­digt zum Grün­don­ners­tag (TV-Got­tes­dienst) 9. April 2020, Pries­ter­se­mi­nar­kir­che, Linz

Ge­sun­der Ego­is­mus – kran­ke Lie­be?

Wir brau­chen ei­nen ge­sun­den Ego­is­mus! So ist es uns ein­ge­impft wor­den. Die Lie­be hin­ge­gen wird meist nicht zu­erst von der ge­sun­den Sei­te ge­se­hen. Die Lie­be ist ins­ge­samt in den Ver­dacht ge­ra­ten, dass es wirk­li­che, ech­te Lie­be gar nicht gä­be, dass sie letzt­lich krank sei. Das gilt für Lie­be im Zu­sam­men­hang von Eros und Se­xua­li­tät. Da steht Lie­be oft im Zu­sam­men­hang von Sucht und Selbst­zer­stö­rung. Krank ist die Lie­be aber auch schnell im Zu­sam­men­hang von Selbst­lo­sig­keit und Nächs­ten­lie­be, z. B. wenn von hilf­lo­sen Hel­fern die Re­de ist. Als ge­sund gilt meist der Ego­is­mus. Der ge­sun­de Ego­is­mus be­wahrt vor Plei­ten und Pan­nen, er lässt sich nicht aus­nüt­zen und un­ter­drü­cken. Ge­sun­der Ego­is­mus macht Kin­der er­folg­reich, so heißt es. Er gilt als Tipp für Füh­rungs­kräf­te und wird er­schöpf­ten Hel­fern ge­ra­ten. – In den letz­ten Wo­chen hat sich durch Co­ro­na man­ches um­ge­dreht. Wir sind sehr dank­bar al­len ge­gen­über, die sich für an­de­re, für das Ge­mein­wohl ein­set­zen. Man­che fürch­ten aber jetzt schon den Neid, das Schie­len und Ver­glei­chen, wer be­vor­zugt und wer be­nach­tei­ligt wor­den ist. Das neue Mit­ein­an­der, das sich durch Co­ro­na ge­zeigt hat, ist es sta­bil oder doch sehr zer­brech­lich? Und wer will aus der Kri­se ge­win­nen?

Be­greift ihr, was ich an euch ge­tan ha­be?

Be­greift ihr, was ich an euch ge­tan ha­be? So die Fra­ge Je­su an Pe­trus im Evan­ge­li­um vom Grün­don­ners­tag. Auf vie­len Dar­stel­lun­gen in der Kunst wird Pe­trus bei der Fuß­wa­schung als ei­ner dar­ge­stellt, der sich auf den Kopf greift, der das gan­ze nicht be­greift. Geht’s ei­gent­lich noch? Spinnst Du? Ei­ne sol­che Sze­ne ist auf dem spät­ro­ma­ni­schen Por­tal der Ab­tei­kir­che St. Gil­les bei Arles (Pro­vence) zu se­hen. „Nie­mals sollst du mir die Fü­ße wa­schen, wenn schon, dann die Hän­de und den Kopf.“ Pe­trus greift sich an den Kopf. Als Je­sus dem Pe­trus die Fü­ße wa­schen will, lehnt die­ser en­er­gisch ab. Er spürt ver­mut­lich sehr rich­tig und in­stink­tiv, dass die­ses Han­deln an ihm auch Kon­se­quen­zen für ihn ha­ben könn­te, Kon­se­quen­zen für sein ei­ge­nes Ver­ständ­nis vom Le­ben, vom Lei­den, von den, was er­stre­bens­wert ist, was „in“ ist, wor­auf es an­kommt. Ver­steht ihr, wenn ich eu­er Herr und Meis­ter euch die Fü­ße wa­sche? Ver­steht ihr, wenn ich mich für euch hin­ge­be? Fuß­wa­schung und Eu­cha­ris­tie sind so et­was wie ei­ne Re­vo­lu­ti­on. Da wird un­se­re Ver­nunft auf den Kopf ge­stellt, da gilt nicht mehr die Lo­gik der Macht und des Gel­des. Wer ist oben auf? Nor­mal der, der sich die Hän­de nicht schmut­zig macht. Je­sus wäscht den Schweiß und den Staub von den Fü­ßen. Je­sus stellt ei­nen ganz und gar nicht ei­fer­süch­ti­gen, nicht nei­di­schen, nicht ego­is­ti­schen, nicht selbst­ge­nüg­sa­men, nicht will­kür­li­chen Gott dar. Im buch­stäb­li­chen Sinn ist er ein auf den Bo­den her­un­ter­ge­kom­me­ner Gott, der sich nicht her­aus­hält, dem nichts fremd ist.
Von Pau­lus her ge­hö­ren die Fei­er des Her­ren­mah­les, der Eu­cha­ris­tie und das Tei­len des täg­li­chen Bro­tes zu­sam­men. Er sieht es als Ver­rat am Her­ren­mahl an, wenn die Ar­men vom an­schlie­ßen­den Sät­ti­gungs­mahl aus­ge­schlos­sen blei­ben (1 Kor 10,17-34). Wer Eu­cha­ris­tie fei­ert, darf so kein „Ei­gen­bröt­ler“ sein. Es gibt ei­nen in­ne­ren Zu­sam­men­hang zwi­schen Nächs­ten­lie­be und Eu­cha­ris­tie.
Die Co­ro­na­vi­rus-Pan­de­mie ist in den letz­ten Wo­chen zu ei­ner glo­ba­len Her­aus­for­de­rung ge­wor­den. Da­bei gilt: Die ei­ge­ne Not soll die Au­gen für die Not der an­de­ren öff­nen. Die Co­ro­na-Kri­se macht die Not vie­ler Men­schen in Ös­ter­reich jetzt noch grö­ßer. Be­son­ders be­trof­fen da­von sind Ob­dach­lo­se, Al­lein­er­zie­hen­de, Min­dest­pen­sio­nis­ten, Ein­sa­me und kin­der­rei­che Fa­mi­li­en. Der kirch­li­che Co­ro­na-Not­hil­fe­fonds der Ca­ri­tas will hel­fen, satt ma­chen, wär­men, Hoff­nung und Zu­ver­sicht ge­ben.
Not sieht Not! Bei al­len Be­mü­hun­gen dür­fen da­bei je­ne nicht ver­ges­sen wer­den, die zwar sehr stark von der Pan­de­mie be­trof­fen, aber oft über­se­hen sind oder ver­drängt wer­den. Da­zu zäh­len Men­schen, die we­gen Krieg, Ver­fol­gung oder Aus­sichts­lo­sig­keit ge­flüch­tet sind und jetzt oft schutz­los auf die Hil­fe an­de­rer an­ge­wie­sen sind. Da­her muss den Ge­flüch­te­ten in den Kon­flikt­zo­nen des Na­hen Os­tens vor Ort wei­ter­ge­hol­fen wer­den. Hil­fe brau­chen aber auch die Men­schen in den Flücht­lings­la­gern in Grie­chen­land. Die kirch­li­che Ca­ri­tas hilft me­di­zi­nisch, aber auch ganz grund­le­gend mit Le­bens­mit­teln, Was­ser und Hy­gie­ne­pro­duk­ten. Die Hil­fe ist jetzt be­son­ders nö­tig. Da be­steht un­mit­tel­ba­rer Hand­lungs- und Ent­schei­dungs­be­darf. „Ob Flücht­lin­ge, die un­ter un­vor­stell­ba­ren Zu­stän­den auf den grie­chi­schen In­seln le­ben oder un­ser di­rek­ter Nach­bar: Wir sind nur Chris­ten, wenn wir be­reit sind, zu tei­len. Auch wenn es schmerzt.“ (Kar­di­nal Schön­born)
Eu­cha­ris­tie und Ver­söh­nung ge­hö­ren zu­sam­men. Eu­cha­ris­tie drängt be­son­ders je­ne, die mit­ein­an­der im Kon­flikt sind, ih­re Ver­söh­nung zu be­schleu­ni­gen. „Wer näm­lich an der Eu­cha­ris­tie teil­nimmt, muss sich da­für ein­set­zen, den Frie­den her­zu­stel­len in un­se­rer Welt, die ge­zeich­net ist von so viel Ge­walt, von Krieg und - be­son­ders heu­te - von Ter­ro­ris­mus, Wirt­schafts­kor­rup­ti­on und se­xu­el­ler Aus­beu­tung.“¹ Eu­cha­ris­tie und Fuß­wa­schung sind ein Auf­ruf, wirk­lich Frie­dens­stif­ter und Ur­he­ber von Ge­rech­tig­keit zu sein.

¹ Be­ne­dikt XVI., Sa­cra­men­tum ca­ri­ta­tis. Nach­syn­oda­les Schrei­ben über die Eu­cha­ris­tie Quel­le und Hö­he­punkt von Le­ben und Sen­dung der Kir­che, Va­ti­kan 2007, Nr. 89.

+ Manfred Scheuer, Bischof von Linz
09.04.2020

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