Der Tod Je­su am Kreuz hat nicht das letz­te Wort

Pre­digt zum Kar­frei­tag (TV-Got­tes­dienst) 10. April 2020, Pries­ter­se­mi­nar­kir­che, Linz

Ge­dan­ken für Kin­der

Wenn du ge­ra­de stehst und die Hän­de aus­brei­test, bil­det dein Kör­per ein Kreuz.

Dei­ne Hän­de stre­cken sich den an­de­ren ent­ge­gen – wie in ei­ner Um­ar­mung. Dein Kopf weist nach oben, zu Gott hin. In dei­nem Her­zen ist die Mit­te des Kreu­zes. So wie Je­sus ver­bin­dest auch du Him­mel und Er­de. Er hat sei­ne Ar­me weit aus­ge­brei­tet und vie­len Men­schen ge­hol­fen. Er ist auch dem Tod nicht aus­ge­wi­chen. So ist das Kreuz ein Zei­chen für uns Chris­ten und Chris­tin­nen ge­wor­den.

Es steht für Je­sus.

Es steht für al­les, was er durch­ge­macht hat, was er er­lit­ten hat bis zum Tod. Es steht da­für, dass Gott al­les Schwe­re, al­le Not kennt und auch weiß, wo wir es schwer ha­ben. (Quel­le JS Diö­ze­se Linz)

Viel­leicht denkst du da­bei an die­se vom Co­ro­na-Vi­rus ge­präg­te Zeit, die so an­ders ist als die un­be­schwer­te Zeit, die wir sonst ken­nen. Die Be­geg­nun­gen, die nicht mög­lich sind. Du er­lebst Er­wach­se­ne, die un­si­cher sind. Du hast viel­leicht Angst um dei­ne Groß­el­tern, für die das Vi­rus be­son­ders ge­fähr­lich ist.

Viel­leicht denkst du aber auch an Men­schen, an Kin­der in an­de­ren Tei­len die­ser Welt, die eben­falls gro­ße Ängs­te ha­ben – Angst da­vor, dass der Krieg ih­nen al­les Le­bens­not­wen­di­ge nimmt. Angst da­vor, flüch­ten zu müs­sen, Angst da­vor, kei­ne si­che­re Blei­be zu fin­den. Viel­leicht denkst du an Kin­der auf die­ser Welt, die hun­gern müs­sen, wo die El­tern von ei­nem Tag auf den an­dern nicht wis­sen, wie sie ih­nen aus­rei­chend Es­sen be­sor­gen kön­nen, die viel­leicht bet­teln ge­schickt wer­den oder in il­le­ga­len Fa­bri­ken aus­ge­beu­tet wer­den. Viel­leicht denkst du an Kin­der auch in un­se­rem Land, die hilf­los Er­wach­se­nen aus­ge­lie­fert sind, die sie nicht gern ha­ben, die Ge­walt er­lei­den müs­sen.

Am Kar­frei­tag müs­sen wir uns ver­deut­li­chen, dass es vie­le Din­ge auf die­ser Welt gibt, die un­ge­recht sind, die uns trau­rig und fas­sungs­los ma­chen. Es gibt kei­ne durch und durch hei­le Welt. Die­se Trau­rig­keit dür­fen wir an die­sem Tag vor Gott brin­gen und ihm die­se Sor­gen an­ver­trau­en.

Der Tod Je­su am Kreuz hat nicht das letz­te Wort – wir glau­ben, dass Gott Je­sus von den To­ten auf­er­weckt hat. Wir hof­fen und glau­ben, dass Gott Din­ge zum Gu­ten brin­gen kann – ge­ra­de auch am Kar­frei­tag.

Ge­dan­ken für Er­wach­se­ne

Das Kreuz ist für vie­le Chris­ten ein all­täg­li­ches Zei­chen. Sie tra­gen es als Amu­lett um den Hals, es hängt als Mö­bel­stück oder als Kunst­werk in der Woh­nung. Die­se Ge­wohn­heit und Ge­wöhn­lich­keit stumpft ge­gen­über der Wirk­lich­keit des ge­kreu­zig­ten Je­sus ab. Man­che brau­chen Op­fer, Lei­den und Kreuz, um an­de­ren ein schlech­tes Ge­wis­sen ein­zu­re­den. Man kann das Kreuz Je­su als Keu­le, als Vor­wurf ge­gen an­de­re Men­schen be­nut­zen. Und schließ­lich eig­nen sich Schmerz und Tod als auf­re­gen­de Un­ter­hal­tung, aber eben als Un­ter­hal­tung, die man kon­su­mie­ren kann.

Heu­te am Kar­frei­tag wird un­ser Blick auf den lei­den­den Je­sus ge­wen­det, aber auch auf die Ge­sich­ter von ge­zeich­ne­ten Men­schen, auf die Ge­sich­ter von Kin­dern, die schon von klein auf ge­schla­gen sind, auf die Ge­sich­ter von Ju­gend­li­chen, die kei­nen Platz in der Ge­sell­schaft fin­den und frus­triert sind, auf die Ge­sich­ter von leib­lich und psy­chisch Kran­ken, auf die Ge­sich­ter von Ster­ben­den, von Flücht­lin­gen. Es gilt ein­mal wahr­zu­neh­men, nicht weg­zu­schau­en, nicht ver­gess­lich zu wer­den. Und es gilt, hin­ter dem Dreck und dem Schmerz die Wür­de, die Kost­bar­keit und auch die in­ne­re Schön­heit die­ser Men­schen zu se­hen.

Wir be­ten als Chris­ten nicht das Lei­den und das Kreuz an sich an. Wir schau­en auf Chris­tus. Wir brau­chen nicht ei­gen­mäch­tig um ei­nes as­ke­ti­schen Ide­als wil­len Lei­den und Kreuz su­chen und von uns her er­grei­fen. Wohl kann kein Mensch völ­lig acht­los an der Lei­dens­teil­nah­me vor­über­ge­hen und sich der So­li­da­ri­tät mit den Lei­den­den ver­wei­gern. Er wür­de als kalt, als herz­los, ja als Un­mensch gel­ten. Wah­re Lie­be kann den an­de­ren „gut lei­den“, d.h. ich mag dich, ich fin­de dich sym­pa­thisch, aber auch: ich hal­te dich aus, ich er­tra­ge dich, ich neh­me dich auch mit dei­nen Neu­ro­sen und mit dei­nem in­ne­ren Schwei­ne­hund an. Wer an ei­nem Men­schen nicht auch ge­lit­ten hat, der kennt ihn nicht und der liebt ihn auch nicht.

Ge­gen das Co­ro­na­vi­rus gibt es (noch) kei­nen Impf­stoff und kein Me­di­ka­ment. Wir kön­nen das Vi­rus nicht mit ei­nem Knopf­druck weg­zau­bern und auch nicht so tun, als ob es ihn nicht gä­be. Wir hof­fen, dass die For­scher bald wirk­sa­me Me­di­ka­men­te und Impf­stof­fe fin­den. Aber so­lan­ge das nicht der Fall ist, müs­sen wir un­ser Zu­sam­men­le­ben so ge­stal­ten, dass das Vi­rus mög­lichst nicht über­tra­gen wird. Das ist un­se­re Ver­ant­wor­tung und die ge­gen­wär­tig ge­for­der­te Form von Nächs­ten- und Selbst­lie­be. Ver­nunft, Wis­sen­schaft und Glau­be sind da kein Ge­gen­satz, son­dern kön­nen durch­aus zu­sam­men­spie­len.

Wie kön­nen wir Chris­ten dem Leid be­geg­nen? Von Je­sus her sol­len wir das Leid lin­dern, min­dern oder ver­hin­dern. Es gibt Si­tua­tio­nen und Be­geg­nun­gen: da müs­sen wir ein­fach hel­fen. Al­les an­de­re wä­re kalt und un­mensch­lich. Wi­der­stand ist dort not­wen­dig, wo es gilt, ver­meid­ba­res Lei­den ab­zu­schaf­fen; Er­ge­bung und An­nah­me dort, wo Leid nicht über­wun­den, son­dern nur er­tra­gen und im Licht der Auf­er­ste­hung Chris­ti in Hoff­nung ver­wan­delt wer­den kann.

„Das Kreuz fehlt nie im Le­ben. Man braucht es nicht zu wäh­len, es ist auch nicht not­wen­dig, Gott um das Kreuz zu bit­ten. Wenn es aber da ist, dann soll man es um­fas­sen und ent­schlos­sen tra­gen. Das Kreuz quält be­son­ders den, der es nicht tra­gen will“ (Te­re­sa von Avi­la).

„Gott gib uns den Mut, zu ver­än­dern, was sich ver­än­dern lässt; schenk uns die Kraft, an­zu­neh­men, was nicht zu ver­än­dern ist, und gib uns die Weis­heit, bei­des von­ein­an­der zu un­ter­schei­den.“ (Paul Clau­del).

+ Manfred Scheuer, Bischof von Linz
10.04.2020

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